„Habt ihr etwa keinen Supermarkt?“, grinste ein Bekannter neulich, als die Rede auf meinen Gemüseanbau kam.
Solche Kommentare bekomme ich tatsächlich des Öfteren zu hören:
Der Aufwand lohnt sich doch gar nicht! So eine Dose Erbsen kostet schließlich fast nix.
Du hast doch eh schon so viel zu tun, mach dir doch nicht unnötig Arbeit.
Wieso machst du dir da den Rücken krumm und ackerst von Hand? Immerhin leben wir im 21. Jahrhundert und die Bauern haben große Maschinen für sowas. Warum gehst du nicht einfach zum Supermarkt?
Tja. Ist es naiv, heutzutage selber Gemüse anzubauen? Überflüssig?
Nö, finde ich ganz und gar nicht! Ich hab in die Tasten gehauen und verrate dir in diesem Plädoyer für einen eigenen Gemüsegarten (oder eine Gemüseecke auf dem Balkon!) meine Gründe – und bin neugierig, was du darüber denkst. 🙂
Wissen, wie die Nahrung entsteht
Zugegeben – bevor ich mit dem Gemüseanbau begonnen habe, wusste ich teilweise erschreckend wenig darüber, wie so manches Gemüse eigentlich wächst. Ich konnte zwar sagen, wo ich es in welchem Supermarkt finde, was es wann kostet und ob man es nur frisch oder auch als Konserve bekommt – aber das war es dann auch schon.
Meine ersten Kohlrabi-Pflänzchen beäugte ich daher sehr gespannt und fragte mich, wo eigentlich die berühmte Knolle entstehen würde – über oder unter der Erde?! 🤔 Mittlerweile weiß ich, dass sie über dem Boden wächst, und es ist mir fast ein bisschen peinlich, dass mir das vorher nicht klar war. 😀
Dabei ist das schon Jammern auf hohem Niveau. Es soll Kinder (und bestimmt auch Erwachsene) geben, die nicht wissen, woraus Pommes eigentlich gemacht werden und wie eine Kartoffel aussieht. Die den Geschmack von Erdbeerjoghurt kennen, nicht aber den von frischen Erdbeeren. Urgh.
Bevor ich mit unserem Nutzgarten begonnen habe, wusste ich zudem herzlich wenig über die Grundlagen vom Gemüseanbau. Was muss ich tun, damit die Kartoffeln gescheit wachsen? Wann kann ich Möhren säen und wie lange dauert es bis zur Ernte? Auch über solche Dinge wie Mischkultur oder die Fruchtfolge wusste ich nichts.
Ohne diverse Bücher und drölfzig Webseiten wäre ich mit meinem Gemüseprojekt aufgeschmissen gewesen, weil ich darüber nie etwas gelernt hatte. Und dabei bin ich schon auf dem Land aufgewachsen und meine Eltern hatten früher einen (Zier-)Garten. Gemüse wurde dort allerdings nicht angebaut und auch eingekocht wurde nicht – das sind alles Dinge, die ich mir erst seit dem Start in unseren eigenen Garten, also seit 2017, selber aneigne.
Viiieeel mehr Sortenvielfalt
In Anbetracht der riesigen Obst- und Gemüseauslagen im Supermarkt könnte man ja meinen, dass wir dort aus einer unglaublichen Vielfalt wählen können. Von wegen!
Annette von Evidero schreibt:
Allein in Europa gibt es ursprünglich 20.000 Apfelsorten, davon sind aber nur maximal 50 wirtschaftlich relevant und circa sechs davon landen im heimischen Supermarkt. Dies sind meist Boskoop, Jonagold, Elstar, Cox Orange, Golden Delicious und Granny Smith.
Quelle: Alte Sorten und Artenvielfalt – Evidero
Das ist verdammt wenig, oder? Wenn mal wieder durch die Medien geht, dass diese oder jene exotische Tierart kurz vor dem Aussterben steht, sind alle ganz empört und verteufeln Wilderer und Jäger. Dabei tragen wir durch unsere Kaufentscheidungen alle dazu bei, dass deutlich mehr Pflanzen verschwinden… einfach weil sie sich nicht zum Anbau im großen Stil oder zum problemlosen Transportieren eignen.
In deinem eigenen Gemüsegarten hingegen kannst du anbauen, was du willst. Grün gestreifte Tomaten, gelbe Zucchini, alte Apfelsorten oder auch Gemüse, das es überhaupt nicht im Supermarkt zu kaufen gibt: Melde etwa. Was auf deinem Teller landet, ist dann selbst ausgesucht statt fremdbestimmt!
Es kann doch nicht sein, dass wir ein so elementares Wissen – wie kann ich mich ernähren? – und die Entscheidung darüber, was wir essen in die Hände von ein paar Großproduzenten legen. Uns auf das Prinzip Supermarkt verlassen. Damit machen wir uns unglaublich abhängig und unselbstständig! Was ist, wenn es diese Betriebe aus irgendwelchen Gründen mal nicht mehr geben sollte oder schlichtweg die Transportwege zusammenbrechen?
Wertschätzung lernen
Wie lange dauert es, eine Schale Tomaten zu kaufen? – Wenige Minuten, und der Preis fällt kaum ins Gewicht. Und wie lange dauert es, sie anzubauen? – Von der Aussaat der Samen im Februar bis zur Ernte der ersten reifen Früchte im Juli locker fünf Monate.
Das ist ein gewaltiger Unterschied! Seit ich meine Gemüsepflanzen selber heranziehe und sie monatelang betüddele, stecke ich sie mir mit einer ganz anderen Wertschätzung in den Mund.
Und überhaupt: das mit dem „Wunder des Lebens“ klingt zugegebenermaßen ja wirklich ganz schön abgedroschen. Aber wenn aus einem winzigen Samenkorn eine üppige Pflanze mit Dutzenden von Früchten wird, die ihrerseits wieder jeweils jede Menge neuer Samen bilden – dann hat das einfach etwas Magisches! 🙂
Rhythmus statt Beliebigkeit
Geburtstag zu haben, ist etwas Besonderes. Wir freuen uns auf den Tag, planen Partys, feiern ihn. Was wäre, wenn wir das jeden Tag täten? – Verdammt schnell wäre das verdammt langweilig. Wir würden uns nicht mehr darauf freuen und ein Tag wäre wie der andere. Das wäre schade, oder?
Nicht anders verhält es sich mit Nahrungsmitteln, die doch so ein immens wichtiger Bestandteil unseres Lebens sind. Wenn ich an 365 Tagen im Jahr wie selbstverständlich immer alles kaufen kann – Tomaten im Dezember, Himbeeren im Februar, Rotkohl im Juli – dann mag das zwar erstmal praktisch klingen. Kein Kopfzerbrechen bei der Rezeptauswahl und das Lieblingsessen immer dann, wenn ich es will.
Aber was bedeutet das? – Mal ganz abgesehen von dem Irrsinn, dass Lebensmittel um die halbe Welt geflogen werden und das Mittagessen auf meinem Teller mitunter weiter gereist ist als ich selber?
Es führt dazu, dass die einzelnen Zutaten an Bedeutung verlieren, langweilig werden. Wir Menschen ticken nun mal so, dass wir für Rhythmen gemacht sind, Abwechslung brauchen. Das fängt an beim Tag-und-Nacht-Rhythmus und dem abwechselnden Schlafen und Wachsein und geht bis hin zur Abfolge der Jahreszeiten.
Obst und Gemüse dann zu essen, wenn die jeweilige Sorte gerade Saison hat, strukturiert das Jahr und wir leben ein bisschen mehr im Einklang mit den Jahreszeiten.
Bio & regional… und weniger nervig!
Noch regionaler geht es nicht: der Transportweg vom Beet auf den Teller beträgt hier bei uns etwa fünf Meter Luftlinie. 😀 Das spart natürlich Benzin, Kerosin & Co. und auch das ganze Verpackungsmaterial, was sonst oft anfällt.
Statt mir im Supermarkt an der Kasse die Beine in den Bauch zu stehen, bin ich hier in nullkommanix im Nutzgarten an der frischen Luft – und was da piept, sind Vögel statt irgendwelcher Registrierkassen. Herrlich!
Übrigens bin ich bei unserem eigenen Anbau auch nicht ganz so pingelig, was das Abwaschen angeht. Bei gekauftem Obst und Gemüse frage ich mich ja, wie viele Hände das beim Ernten, Verpacken, Auspacken und während der Auslage im Supermarkt wohl schon angetatscht haben und was da vorher wohl schon an Pestiziden drangekommen sein mag. Bääääh!
Genau zu wissen, wie die Pflanze auf meinem Teller entstanden und gewachsen ist, ist ein verdammt gutes Gefühl.
Grüne Quality Time
Ja, ein Nutzgarten macht Arbeit. Das will ich gar nicht leugnen. Im Schnitt bin ich außerhalb des Winters ein bis zwei Stunden pro Woche mit dem Säen, Pflanzen, Pflegen, Ernten, Verarbeiten & Co. zu Gange. Beim Saisonstart im Frühjahr sowie zur Hochsaison der Ernte auch schon mal deutlich länger. Insbesondere das Anlegen neuer Beete kann eine ziemliche Plackerei sein (schöne Grüße an unseren Lehmboden! 🙂 ).
Gartenarbeit ist körperlich anstrengend und manchmal schlafe ich schon fast mit dem Gartenschlauch in der Hand mitten im Beet ein, wenn ich nach der Arbeit noch einen Termin hatte und dann aber unbedingt noch gießen muss, ehe ich ins Bett kippe.
Aber ich liebe es! Aktive Erholung nennt sich das wohl. Klar, ich könnte mich nach neun Stunden im Büro abends einfach vor den Fernseher fallen lassen (und manchmal mache ich das auch – solche Tage müssen ab und zu mal sein 😀 ) – aber fühle ich mich danach genauso erholt wie nach einer Runde im Garten? Nee.
Gartenzeit ist Quality Time! 🙂
Schmeckt viel besser!
Nicht zuletzt schmeckt das Obst und Gemüse aus dem eigenen Anbau oft auch einfach viel besser. Weil es ganz frisch ist, weil keine Pestizide drankleben und weil du dich hier so lange durch eine riesige Sortenvielfalt durchprobieren kannst, bis du von jeder Pflanze deine absolut leckersten Lieblinge gefunden hast.
Fair angebaut
Update vom Februar 2023: ich möchte hier noch einen sehr wichtigen Punkt ergänzen, der mir selber auch erst durch die Beschäftigung mit dem Thema bewusst ist. Nämlich die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen das billige Obst und Gemüse im Supermarkt oft angebaut und geerntet wird. Als Einstieg empfehle ich den SPIEGEL-Artikel Ausbeutung bei der Ernte in Italien: Warum Joban Singh nicht mehr leben wollte.
Indem du deine Nahrungsmittel selber anbaust, muss niemand anders dafür leiden.
Klar, nicht jeder kann einen eigenen Gemüsegarten bewirtschaften. Für mich war das ein bewusster Teil der Entscheidung, wieder zurück aufs Land zu ziehen.
Aber auch in ein paar Kästen und Kübeln auf dem Balkon kannst du selber viele Nutzpflanzen anbauen: Salate, Tomaten, Kräuter, Mangold, Möhren, Radieschen… sogar Kartoffeln sind möglich!
Ich finde, ein Nutzgarten lohnt sich auf jeden Fall – auch und gerade in unserer heutigen Gesellschaft! Und es ist schön zu sehen, dass ich damit anscheinend nicht alleine bin und sich der Anbau vom eigenen Gemüse zu einem Trend entwickelt. 🙂
Was denkst du darüber?
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